Mittwoch, 28. November 2012

Höhere Mathematik für Physiker: Graphen stetiger Funktionen sind Nullmengen

Im Folgenden beweisen wir, dass es sich bei Graphen stetiger Funktionen $f\colon U\to \mathbb R$ mit offenem Definitionsbereich $U \subset \mathbb R^n$ um $(n+1)$-dimensionale Nullmengen handelt. Diese Aussage wurde in der Vorlesung ohne Beweis notiert. Tatsächlich werden wir sogar ein wenig mehr zeigen.

Da in puncto Nullmengen verschiedene Sprechweisen und Konventionen kursieren, wiederholen wir unsere
Definition. Sei $n \in \mathbb N$. Dann versteht man unter einer $n$-dimensionalen Nullmenge eine Teilmenge $N \subset \mathbb R^n$, so dass für jede Zahl $\epsilon > 0$ eine Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ $n$-dimensionaler Quader existiert, für die gilt: \[N \subset \bigcup_{k\in\mathbb N}Q_k \qquad \text{und} \qquad \sum_{k=1}^\infty \lambda^n(Q_k) < \epsilon.\] Dabei bezeichnet $\lambda^n$ den $n$-dimensionalen Quaderinhalt.
Die zentrale Idee, wie man Graphen stetiger Funktionen möglichst volumensparend mit (kompakten) Quadern überdeckt, liegt in folgendem
Lemma 1. Sei $n \in \mathbb N_0$, $K \subset \mathbb R^n$ eine kompakte Teilmenge und $f\colon K \to \mathbb R$ eine stetige Funktion. Dann ist \begin{equation}\Gamma := \{(x_0,\dots,x_{n-1},y)\in\mathbb R^{n+1}:f(x_0,\dots,x_{n-1})=y\}\label{e_graph}\end{equation} eine $(n+1)$-dimensionale Nullmenge.
Beweis. Sei $\epsilon > 0$. Als Kompaktum ist $K$ insbesondere eine beschränkte Teilmenge von $\mathbb R^n$, d. h. es existiert eine Zahl $a>0$ dergestalt, dass \[K \subset [-a,a]^n.\] Des Weiteren ist $f$ als stetige Funktion mit kompaktem Definitionsbereich gleichmäßig stetig. Mithin gibt es eine Zahl $\delta>0$, so dass für alle $x,x' \in K$ gilt: \[||x-x'||_\infty<\delta \quad \Rightarrow \quad |f(x)-f(x')|<\epsilon' := \frac\epsilon{2(2a)^n}.\] Nach archimedischem Axiom existiert eine natürliche Zahl $m$ mit der Eigenschaft \[\frac{2a}\delta < m.\] Für alle \[i = (i_0,\dots,i_{n-1}) \in \{0,\dots,m-1\}^n\] setzen wir nun: \[Q'_i := \left((-a,\dots,-a)+\frac{2a}m(i_0,\dots,i_{n-1})\right)+\left[0,\frac{2a}m\right]^n \subset \mathbb R^n.\] Zudem definieren wir \[I := \{i \in \{0,\dots,m-1\}^n : Q'_i \cap K \neq \emptyset\}.\] Damit existiert für alle $i \in I$ ein, und nur ein, $z_i$, das bezüglich der lexikografischen Ordnung auf $\mathbb R^n$ kleinstes Element von $Q'_i \cap K$ ist. Für $i \in I$ definieren wir: \[Q_i := Q'_i \times [f(z_i)-\epsilon',f(z_i)+\epsilon'] \subset \mathbb R^{n+1}.\] Sei nun $(x_0,\dots,x_{n-1},y) \in \Gamma$. Dann ist $x \in K$, also auch $x \in [-a,a]^n$. Demzufolge existiert offensichtlich ein $i \in \{0,\dots,m-1\}^n$, so dass $x \in Q'_i$. Es gilt $i \in I$, da $x \in Q'_i \cap K$. Da \[||x-z_i||_\infty \leq \frac{2a}m < \delta,\] haben wir \[|f(x)-f(z_i)| < \epsilon'.\] Das heißt, \[(x_0,\dots,x_{n-1},y) \in Q_i.\] In der Folge gilt \[\Gamma \subset \bigcup_{i\in I}Q_i.\] Nach Festlegung des Lebesgue'schen Volumens von Quadern haben wir, für alle $i \in I$: \[\lambda^{n+1}(Q_i) = \left(\frac{2a}m\right)^n\cdot 2\epsilon' = \frac1{m^n}\epsilon.\] Das heißt, \[\sum_{i\in I}\lambda^{n+1}(Q_i) = \sum_{i\in I}\frac1{m^n}\epsilon \leq m^n\frac1{m^n}\epsilon = \epsilon,\] was zu beweisen war. $\Box$
Folgerung. Sei $n \in \mathbb N_0$, $A \subset \mathbb R^n$ und $f\colon A \to \mathbb R$ eine stetige Funktion, so dass eine höchstens abzählbare Familie $(K_j)_{j\in J}$ von kompakten Teilmengen $K_j \subset \mathbb R^n$ mit \[A = \bigcup_{j\in J}K_j\] existiert. Dann ist \eqref{e_graph} eine $(n+1)$-dimensionale Nullmenge.
Beweis. Für alle $j\in J$ ist $K_j \subset \mathbb R^n$ kompakt und $f|K_j \colon K_j \to \mathbb R$ eine stetige Funktion. Daher ist \[\Gamma_j := \{(x_0,\dots,x_{n-1},y)\in\mathbb R^{n+1}:(f|K_j)(x_0,\dots,x_{n-1})=y\}\] nach Lemma 1 eine $(n+1)$-dimensionale Nullmenge. Zudem gilt offenbar \[\Gamma = \bigcup_{j\in J}\Gamma_j,\] da $A = \bigcup_{j\in J}K_j$. Somit ist $\Gamma$ eine Nullmenge laut Vorlesung. $\Box$
Lemma 2. Für alle $n \in \mathbb N_0$ und alle offenen Teilmengen $U \subset \mathbb R^n$ existiert eine höchstens abzählbare Menge $\mathfrak Q$ kompakter $n$-dimensionaler Quader, so dass \[U = \bigcup\mathfrak Q.\]
Beweis. Für alle $k\in\mathbb N_0$ und alle $i = (i_0,\dots,i_{n-1}) \in \mathbb Z^n$ setzen wir: \[Q_i^k := \frac1{2^k}\left(i + [0,1]^n\right).\] Wir definieren \[\mathfrak Q := \{Q_i^k:k\in\mathbb N_0, i \in \mathbb Z^n, Q_i^k \subset U\}.\] Die Zuordnung $(k,i) \mapsto Q_i^k$ liefert eine Bijektion zwischen einer Teilmenge von $\mathbb N_0 \times \mathbb Z^n$ und $\mathfrak Q$. Daher ist $\mathfrak Q$ höchstens abzählbar. Ebenfalls evident ist:\[\bigcup\mathfrak Q \subset U.\] Sei jetzt $x\in U$ beliebig. Dann existiert aufgrund der Offenheit von $U$ in $\mathbb R^n$ (und der Äquivalenz sämtlicher Normen auf $\mathbb R^n$) eine Zahl $\epsilon > 0$ derart, dass \[\{y \in \mathbb R^n: ||y-x||_\infty < \epsilon\} \subset U.\] Damit existieren eine natürliche Zahl $k \in \mathbb N_0$, so dass \[\frac1\epsilon < 2^k,\] und des Weiteren ein Element $i \in \mathbb Z^n$, so dass \[x \in Q_i^k.\] Im letzten Schritt kann man dabei $i \in \mathbb Z^n$ als dasjenige Tupel wählen, das entsteht, wenn man auf $2^kx \in \mathbb R^n$ komponentenweise die Gaußklammer anwendet. Da für alle $y \in Q_i^k$ die Beziehung \[||y-x|| \leq \frac1{2^k} < \epsilon\] gilt, haben wir $Q_i^k \subset U$. Demzufolge ist $Q_i^k \in \mathfrak Q$ und $x \in \bigcup \mathfrak Q$. Da $x \in U$ beliebig war, folgt $U \subset \bigcup \mathfrak Q$, was zu beweisen war. $\Box$
Satz. Für alle $n \in \mathbb N_0$ und alle stetigen Funktionen $f\colon U\to \mathbb R$, die auf offenen $U \subset \mathbb R^n$ definiert sind, ist \eqref{e_graph} eine $(n+1)$-dimensionale Nullmenge.
Beweis. Die Behauptung ergibt sich unmittelbar aus Lemma 2 und Folgerung aus Lemma 1. $\Box$

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…
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