Dienstag, 4. Dezember 2012

Übungen zu Höhere Mathematik für Physiker: Blatt 5, Aufgabe 5

Aufgabe. (a) Sei $f\colon \mathbb R^n\to \mathbb R$ gegeben durch \[f(x) = a_1x_1+\dots+a_nx_n\] mit $a_1,\dots,a_n \in \mathbb R$ fest, so dass $a_\nu\neq 0$ für ein $\nu \in \{1,\dots,n\}$. Sei \[V = \{x\in\mathbb R^n:f(x)=0\}.\] Zeigen Sie mit Hilfe der Definition, dass $V$ eine $n$-dimensionale Nullmenge ist.
(b) Zeigen Sie, dass die Sphäre \[S^n = \{x\in\mathbb R^{n+1}:||x||=1\}\] eine $(n+1)$-dimensionale Nullmenge ist.
Lösung. (a) Zunächst behandeln wir die Aufgabe für den Fall, dass $a_n \neq 0$ (bzw. dass $\nu = n$). Sei $\epsilon > 0$. Laut Definition (s. VL, (6.2)) haben wir die Existenz einer Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ $n$-dimensionaler Quader nachzuweisen, so dass \begin{equation}V \subset \bigcup_{k\in\mathbb N}Q_k \qquad \text{und} \qquad \sum_{k=1}^\infty \lambda(Q_k)<\epsilon. \label{e_vnullmenge}\end{equation} Im Folgenden möchten wir ein Beispiel für eine solche Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ möglichst explizit konstruieren. Als Hilfsmittel definieren wir eine Funktion $g\colon \mathbb R^{n-1}\to\mathbb R$ durch \[g(x)= g(x_1,\dots,x_{n-1}) = -\frac{a_1}{a_n}x_1-\dots-\frac{a_{n-1}}{a_n}x_{n-1}\] und setzen \[L := \left|\frac{a_1}{a_n}\right|+\dots+\left|\frac{a_{n-1}}{a_n}\right|.\] Damit existiert $l\in\mathbb N_0$ dergestalt, dass \[\frac{L}\epsilon < 2^l;\] konkret nehme man für $l$ etwa das Minimum der $l\in\mathbb N_0$, die letzterer Ungleichung genügen. Für $j\in \mathbb N$ schreiben wir \[I_j := \{0,1,\dots,2^{l+j(n+1)}-1\}^{n-1}\] und  \[\mu_j := \left(\frac12\right)^{l+jn}.\] Weiter setzen wir \[J := \left\{(j,i):j\in\mathbb N, i=(i_1,\dots,i_{n-1}) \in I_j\right\}\] und, für alle $(j,i) \in J$, \[p_j^i := \left(\frac{\mu_j}2-2^{j-1}\right)\cdot(1,\dots,1) + \mu_j\cdot(i_1,\dots,i_{n-1}) \in \mathbb R^{n-1}\] sowie \begin{align*}Q_j^i := \biggl\{x\in\mathbb R^n: & ||(x_1,\dots,x_{n-1})-p_j^i||_\infty \leq \frac{\mu_j}2, \\ & |x_n-g(p_j^i)| \leq L\frac{\mu_j}2\biggr\}.\end{align*} Sei $\phi \colon \mathbb N \to J$ eine Bijektion, sprich eine Abzählung, gemäß der Darstellung \[J = \bigcup_{j\in\mathbb N}\{j\} \times I_j\] von $J$ (man beachte, dass die Mengen $I_j$ allesamt endlich sind). Dann definieren wir $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ als die Verkettung von $\phi$ und der Familie $(Q_j^i)_{(i,j) \in J}$.

Nach Definition der $\infty$-Norm (auch: Maximumsnorm) ist klar, dass es sich, für alle $k\in\mathbb N$, bei $Q_k$ um einen (kompakten) $n$-dimensionalen Quader (mit Seitenlängen $\mu_j,\dots,\mu_j$, $(n-1)$-mal, und $L\mu_j$) handelt. Das heißt $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ ist eine Folge $n$-dimensionaler Quader.

Sei jetzt $x = (x_1,\dots,x_n) \in V$. Dann gibt es augenscheinlich ein $j \in \mathbb N$, so dass \[||(x_1,\dots,x_{n-1})||_\infty \leq 2^{j-1}.\] Weiterhin gibt es ein Tupel \[i = (i_1,\dots,i_{n-1}) \in I_j,\] so dass \[||(x_1,\dots,x_{n-1})-p_j^i||_\infty \leq \frac{\mu_j}2;\] tatsächlich gilt diese Beziehung, wie man sich leicht überlegt, wenn $i$ aus \[\frac1{\mu_j}\cdot (2^{j-1}\cdot (1,\dots,1)+(x_1,\dots,x_{n-1})) \in \mathbb R^{n-1}\] durch komponentenweises Anwenden der Gaußklammer entsteht. Da \[a_1x_1+\dots+a_nx_n = 0,\] gilt \[g(x_1,\dots,x_{n-1}) = x_n.\] Das heißt, \begin{align*}|x_n-g(p_j^i)| & = |g(x_1,\dots,x_{n-1}) - g(p_j^i)| \\ & \leq L||(x_1,\dots,x_{n-1})-p_j^i||_\infty \leq L\frac{\mu_j}2,\end{align*} da, nach Definition von $L$, für alle $v,w\in \mathbb R^{n-1}$: \[|g(v)-g(w)|=|g(v-w)| \leq L||v-w||_\infty.\] Also ist $x \in Q_j^i$ und mithin $x \in \bigcup_{k\in\mathbb N}Q_k$. Da $x \in V$ beliebig war, haben wir $V \subset \bigcup_{k\in\mathbb N}Q_k$.

Für alle $j \in \mathbb N$ gilt nach Definition des Quadervolumens (als Produkt der Kantenlängen): \begin{align*}\sum_{i\in I_j}\lambda(Q_j^i) & = \sum_{i\in I_j}\mu_j^{n-1}(L\mu_j) \\ &= (2^{l+j(n+1)})^{n-1}\mu_j^nL=2^{-l-j}L<\frac\epsilon{2^j}.\end{align*} Demnach haben wir (möglicherweise unter Zuhilfenahme des Umordnungssatzes für absolut konvergente Reihen): \[\sum_{k=1}^\infty\lambda(Q_k) = \sum_{j=1}^\infty\left(\sum_{i\in I_j}\lambda(Q_j^i)\right)<\sum_{j=1}^\infty\frac\epsilon{2^j}=\epsilon.\] Im Fall, dass $a_n\neq 0$, ist die Aufgabe somit abgehandelt.

In der allgemeinen Situation, in der lediglich bekannt ist, dass ein Index $\nu \in \{1,\dots,n\}$ existiert, so dass $a_\nu \neq 0$ gilt, kann man letztlich in völliger Analogie zu obigem Vorgehen eine Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ mit den gewünschten Eigenschaften gewinnen, wobei man zu beachten hat, dass nun die $\nu$-te Komponente, und nicht mehr die $n$-te Komponente, eine ausgezeichnete Rolle einnimmt. Der Aufschrieb wird durch diese zusätzliche Allgemeinheit leider erschwert. Daher haben wir uns dafür entschieden, nur den Fall $a_n\neq 0$ in absoluter Explizitheit zu beschreiben. A posteriori können wir jedoch die allgemeine Situation auf unsere spezielle Situation zurückführen: Dazu betrachten wir anstelle von $a:=(a_1,\dots,a_n)$ dasjenige Tupel, das aus $a$ hervorgeht, indem man die $\nu$-te und die $n$-te Komponente im Tupel vertauscht. Für dieses neu gewonnene Tupel $\tilde a$ gilt $\tilde a_n \neq 0$. Nach obigem Prinzip generieren wir zu $\tilde a$ eine Quaderfolge $(\tilde Q_k)_{k\in\mathbb N}$. Anschließend erklären wir eine Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ durch Rückvertauschung von $\nu$-ter und $n$-ter Komponente in den Quadern $\tilde Q_k$. Letztere Folge $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ ist eine Folge von Quadern, die den gewünschten Bedingungen \eqref{e_vnullmenge} genügt.

(b) Diese Teilaufgabe ist im Vergleich zu Teilaufgabe (a) sehr einfach, da eine explizite Angabe von Quaderfolgen $(Q_k)_{k\in\mathbb N}$ (zu gegebenen $\epsilon$-Werten) nicht gefordert ist. Man argumentiert beispielsweise so: Mit den Setzungen \begin{align*}S_+ & := \{x \in S^n:x_{n+1}>0\}, \\ S_- & := \{x \in S^n:x_{n+1}<0\}, \\ S_0 & := \{x \in S^n:x_{n+1}=0\}\end{align*} hat man \[S^n = S_+ \cup S_0 \cup S_-.\] Bezeichnen \[g_+,g_-\colon \{x \in \mathbb R^n:||x||<1\} \to \mathbb R\] diejenigen beiden Funktionen, die (respektive) durch die Vorschrift \[g_\pm(x) = \pm\sqrt{x_1^2+\dots+x_n^2}\] gegeben sind, so entspricht $S_\pm$ offenbar dem Graphen von $g_\pm$. Daher sind $S_+$ und $S_-$ $(n+1)$-dimensionale Nullmengen nach Vorlesung (man beachte: die Funktionen $g_\pm$ sind stetig mit in $\mathbb R^n$ offenem Definitionsbereich). Des Weiteren gilt \[S_0 \subset [-1,1]^n \times [0,0].\] Hier ist die rechts stehende Menge ein $(n+1)$-dimensionaler Quader mit Quaderinhalt gleich $0$, $S_0$ daher trivialerweise eine Nullmenge. Da abzählbar unendliche und damit auch endliche Vereinigungen von Nullmengen laut Vorlesung wieder Nullmengen sind, ist $S^n$ eine Nullmenge, q. e. d. $\Box$

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

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Unknown hat gesagt…

Wie ihr wahrscheinlich bemerkt habt, folgt die Aussage in (a), dass es sich bei $V$ um eine Nullmenge handelt, modulo Permutation der Koordination, aus der in (b) verwendeten Tatsache, dass Graphen stetiger Funktionen $g\colon U\to \mathbb R$ mit $U\subset \mathbb R^{n-1}$ offen $n$-dimensionale Nullmengen sind (hier: $U = \mathbb R^{n-1}$).

In (a) ging es jedoch wirklich darum, möglichst explizit überdeckende Quaderfolgen mit kleinen Volumina für $V$ aufzuschreiben.