Freitag, 2. November 2012

Übungen zu Höhere Mathematik für Physiker: Das Thomson-Problem

In unserer Übung vom Dienstag dieser Woche hat Lukas (W.) das Problem aufgeworfen, für eine gegebene natürliche Zahl $n$, $n$ (paarweise verschiedene) Punkte möglichst gleichmäßig auf der Oberfläche der 3-dimensionalen Einheitskugel, der sogenannten 2-Sphäre, zu verteilen.

Einige Anmerkungen hierzu: Wir bezeichnen die 2-Sphäre wie üblich mit $S^2$, das heißt \[S^2 = \{(a,b,c) \in \mathbb R^2:a^2+b^2+c^2 = 1\}.\] Zudem fixieren wir eine natürliche Zahl $n\geq 2$. In Lukas' Problem geht es darum, gewisse ausgezeichnete Teilmengen $p \subset S^2$ der Kardinalität $n$, in Zeichen $|p|=n$, zu bestimmen.

Die Auszeichnung von $p$ erfolgt über die Forderung, die (paarweise verschiedenen) Elemente \[x_0,\dots,x_{n-1} \in p\] mögen möglichst gleichmäßig über $S^2$ verteilt sein. Denkt man ein wenig über diese Forderung nach, so wird man feststellen, dass gar nicht ohne Weiteres klar ist, wann, mathematisch präzise, die Punkte $x_0,\dots,x_{n-1}$ „möglichst gleichmäßig“ über $S^2$ verteilt sind. Welche mathematische Größe, die sich aus $p$ errechnen lässt, eignet sich als Maß für die Gleichmäßigkeit der Verteilung der Elemente von $p$ auf der Sphäre?

Auf diese Frage gibt es zahlreiche Antworten – ein Aspekt, der bereits die genaue Formulierung unseres Problems interessant werden lässt! Um die Diskussion sehr konkret zu halten, betrachten wir folgende Größe: \[E(p) := \sum_{0\leq i<j<n} \frac1{||x_i-x_j||},\] wobei es sich bei $x_0,\dots,x_{n-1}$ um eine Aufzählung der Elemente von $p$ handelt und wir mit doppelten Betragsstrichen (im Nenner) die euklidische Norm auf $\mathbb R^3$ bezeichnen. Man überlegt sich leicht, dass die rechte Seite obiger Gleichung von der gewählten Aufzählung der Elemente von $p$ unabhängig ist; dies rechtfertigt die Bezeichnung „$E(p)$“ auf der linken Seite der Gleichung.

Weiterhin setzen wir \[X := \{p: p\subset S^2, |p|=n\}.\] Damit ist \[E(X) = \{y:(\exists p\in X) y=E(p)\}\] eine nach unten beschränkte Teilmenge der Menge der reellen Zahlen, denn offensichtlich gilt für alle $p\in X$ \[E(p)>0\] oder sogar \[E(p) \geq \sum_{0\leq i<j<n}\frac12 = \binom{n}2\cdot\frac12 = \frac{n(n-1)}{4}.\] Lukas' Problem lässt sich nun so formulieren:
Thomson-Problem. Man charakterisiere (geometrisch?) diejenigen $p\in X$, für die gilt \begin{equation}E(p) = \inf E(X).\label{e_tp}\end{equation}
Bemerkenswerterweise ist das Thomson-Problem lediglich für \[n \in \{2,3,4,5,6,12\}\] gelöst! Der Fall $n=2$ ist dabei mehr oder weniger trivial; die minimierenden Konfigurationen sind gerade durch Paare antipodaler Punkte gegeben. Der Fall $n=3$ ist bereits etwas aufwendiger, lässt jedoch ebenfalls noch gut „zu Fuß“ bewältigen (Übungsaufgabe!): die minimierenden Konfigurationen sind hier durch diejenigen $p=\{x_0,x_1,x_2\}$ gegeben, für die $x_0,x_1,x_2$ die Eckpunkte eines gleichseitigen Dreiecks bilden, das einem Großkreis der Sphäre einbeschrieben ist. Dass im Fall $n=4$ die Lösungen genau durch die Mengen der Eckpunkte der Sphäre einbeschriebener regulärer Tetraeder gegeben sind, ist wohl bereits seit rund 100 Jahren bekannt (vgl. Föppl 1912). Rigoros bewiesen wurde dieser Sachverhalt jedoch erst von Yudin in einer Arbeit von 1992. Die Fälle $n=6$ und $n=12$ gehen (respektive) zurück auf Yudin (1992) und Andreev (1996). Der Fall $n=5$ wurde schließlich erst 2010 in einer Arbeit von Richard Schwartz (Computer-gestützt) abgehandelt.

Als abschließende Arbeitsanregung möchte ich eine Übungsaufgabe stellen, die mit unseren bisher erworbenen mathematischen Fähigkeiten und Kenntnissen, sofern geschickt eingesetzt, zu bewältigen ist.
Aufgabe. Man zeige, dass (für alle $n \in \mathbb N_{\geq2}$) ein $p \in X$ dergestalt existiert, dass \eqref{e_tp} erfüllt ist.
Die in der Aufgabe formulierte Aussage besagt, dass das Thomson-Problem stets überhaupt eine Lösung besitzt. Diese Tatsache macht das Thomson-Problem erst recht interessant. So zeichnet die Bedingung \eqref{e_tp} nämlich (auch für noch so „absurde“ Zahlen $n$) gewisse Geometrien von $n$ Punkten auf einer Sphäre aus, wobei mit Geometrie hier in erster Linie die Struktur der Symmetriegruppe \[G = G(p) := \{g \in \mathop{O}(3):g(p) \subset p\}\] gemeint ist.

Keine Kommentare: